Anthroposophische Gesellschaft

Die Anthroposophische Gesellschaft (AG) entstand 1912/1913 aus einer Abspaltung einer größeren Gruppe von Mitgliedern der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft. Der Theosoph Rudolf Steiner, seit 1902 Generalsekretär der Theosophischen Gesellschaft, hatte sich geweigert, dem von Annie Besant, der Präsidentin der Theosophischen Gesellschaft Adyar (Indien) verordneten Kurs, den Inder Jiddu Krishnamurti als neuen Christus zu proklamieren, zu folgen. 1913 schloss Besant Steiner und Anhänger aus der Theosophischen Gesellschaft aus. Die Deutsche Theosophische Gesellschaft (DTG) benannte sich daraufhin in Anthroposophische Gesellschaft (AG) um und 92 % der Mitglieder der DTG folgte Steiner in die AG. Die Anthroposophische Gesellschaft ist keine eigentliche Geheimgesellschaft, doch die Hauptquelle der anthroposophischen Lehre bildet die okkulte ‚Geheimwissenschaft‘, die Rudolf Steiner nach eigenen Aussagen aus Erforschungen einer für ihn bestehenden geistigen Welt, mithilfe von außersinnlichen Wahrnehmungen, erlangt habe. Anhänger der Anthroposophischen Gesellschaft behaupten von sich, im Besitze eines geheimen (okkulten) Wissens zu sein, welches dem gewöhnlichen Menschen nur nach Maßgabe der Geheimgesellschaft zugänglich gemacht werden darf. Das macht Anthroposophie im Endeffekt zu einer esoterisch okkulten Geheimlehre, die für Außenstehende nicht einfach zugänglich ist und die Anthroposophische Gesellschaft im übertragenen Sinne zumindest metaphorisch zu einer Geheimgesellschaft.


Anthroposophie ist eine spirituelle und esoterische Weltanschauung, welche Einsicht in komplexe höhere Welten erstrebt. Werden diese erkannt, lassen ihre Gesetze sich zum Wohl von Mensch und Erde anwenden und zugleich ihren geistigen Ursprung wiederfinden. Anthroposophie ist einfach ausgedrückt die Vorstellung, dass die Welt materialisierter Geist ist. Grundlegend für das anthroposophische Weltverständnis ist dabei, dass Mensch und Welt dreigliedrig aufgebaut sind (physischer Leib, Seele und Geist). Im Hintergrund steht die Annahme einer kosmischen, von Geistern und Engeln gelenkten Evolution, in welcher der Planet Erde sieben Stadien durchläuft. Alle Wirkungen in der Welt gehen letztlich von geistigen Wesenheiten aus, die in verschiedenen Bewusstseinszuständen leben. Die gegenwärtige Erde ist als vierte Stufe vom geistigen Anfang und Ziel der Evolution am weitesten entfernt. Die gegenwärtige Menschheit entwickelte sich auf wechselnden Kontinenten (z. B. Atlantis) und durch die sich linear und eurozentrisch abspielende sukzessive Entfaltung diverser „Rassen“ und „Kulturepochen“. Die einzelnen menschlichen Individuen partizipieren an der Gesamtentwicklung der Menschheit durch Reinkarnation und Karma. Mit seinen Vorstellungen variierte R. Steiner um 1900 gängige esoterische Vorstellungen aus dem Umfeld der Theosophie Helena Blavatskys. Steiner hatte bereits 1902, viele Jahre vor Gründung der Anthroposophischen Gesellschaft, teilweise Lehren der Theosophie, wie sie Helena Petrovna Blavatsky vertrat, übernommen. Schon 1903 bekannte er sich zur Lehre von Reinkarnation und Karma. Ein zentraler Aspekt war dabei eine Anwendung des Evolutionsgedankens auf die spirituelle Entwicklung. Dabei verarbeitete Steiner auch evolutionäre Ansätze aus der Abstammungslehre des Darwinisten Ernst Haeckel.


Laut der anthroposophischen Lehre existiert der Mensch in vier ineinandergreifenden Ebenen, die Steiner auch als Wesensglieder bezeichnet:


  • Das Ich
  • Der Astralleib oder Seelenleib
  • Der Ätherleib oder Lebensleib
  • Der physische Leib (Körper)


Zu den drei Naturreichen der Mineralien, Pflanzen und Tiere kommt als viertes „Reich“ der Mensch hinzu, der mit seinen drei Leibesgliedern (Physischer Leib – Ätherleib oder Lebensleib – Astralleib oder Seelenleib) an allen Naturreichen beteiligt ist, aber mit seinem Ich aus der Natur herausragt. Nur der physische Leib ist mit den gewöhnlichen Sinnen wahrnehmbar. Die höheren Wesensglieder sind nur mithilfe von außersinnlichen Wahrnehmungen erforschbar. Einen Ätherleib hat jedes Lebewesen. Er ist Träger der Vererbung. Ein Astralleib, ist nur bei „beseelten“ Wesen vorhanden: bei Tieren und Menschen. Das 'Ich' schließlich ist der ewige, unvergängliche und nur dem Menschen eigene „Wesenskern“. Der „Wesenskern“ ist Träger des Karmas, besteht nach dem Tod fort und inkarniert sich erneut in einem anderen Körper. Die Wesensglieder stehen in einer ständigen Wechselwirkung zueinander. Änderungen in der Wechselwirkung der Wesensglieder äußern sich in verschiedenen Bewusstseinszuständen. Im Wachbewusstsein sind alle vier Wesensglieder eng miteinander verbunden. Beim Einschlafen lösen sich Astralleib und Ich vom physischen und ätherischen Leib. Es tritt ein Zustand ein, der bei Pflanzen permanent vorliegt: der traumlose Schlaf. Dabei wirken Astralleib und Ich „von außen“ auf den schlafenden Körper ein, und dieser kann sich regenerieren. Im Zwischenzustand des Traumbewusstseins verbindet sich der Astralleib mit dem Ätherleib, nicht aber mit dem physischen Leib. Denn ohne Verbindung mit den physischen Sinnesorganen kann er die physische Welt nicht wahrnehmen. Aus gleichen Grund ist auch ein volles Ich-Bewusstsein im gewöhnlichen Traum nicht vorhanden. Ein vierter Zustand ist der Tod, bei dem sich die höheren Wesensglieder einschließlich des Ätherleibs vom physischen Leib trennen. Später lösen sich Ätherleib und danach Astralleib auf, und das Ich geht in eine geistige Welt ein, in der es sich auf seine Wiedergeburt (Reinkarnation) vorbereitet. Der Ätherleib bildet dabei die Basis für die Lebensrückschau der Seele, mit deren Essenz sie diese geistige Welt nach dem Tod betritt und anschließend bis zu einer Wiederverkörperung des Ichs in der physischen Welt bewohnt. Diese zyklische Reinkarnation ist durch das individuelle Schicksal (Karma) notwendig und vom Leben des Menschen bestimmt. Sie erfolgt, um vergangenes Karma (in vergangenen Leben gelegte Ursachen) abzuarbeiten und um sich evolutionsmäßig weiterzuentwickeln. Zwischen zwei Inkarnationen vergehen dabei gewöhnlich Jahrhunderte, im Allgemeinen ist ein Wechsel des Geschlechts damit verbunden, und auch die ethnische Zugehörigkeit wechselt von Inkarnation zu Inkarnation, sodass im Laufe vieler Verkörperungen alle Aspekte des Menschseins durchlebt werden können.


Von Anfang an hatte die Anthroposophie nicht nur eine große Anhängerschaft, sondern auch eine ebenso große Gegnerschaft. Dabei sind der Streitpunkt meist die nach dem heutigen Naturwissenschaftsbegriff nicht belegbaren Lehren Steiners. Die anthroposophische Gesellschaft beruft sich auch heute noch auf die Schriften Steiners.


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