Die Weltformel

Die sogenannte große vereinheitlichte Theorie  (Grand Unified Theory, GUT) soll drei der vier bekannten physikalischen Grundkräfte, nämlich die starke Wechselwirkung, die schwache Wechselwirkung und die elektromagnetische Kraft, miteinander vereinen. Zur vollständigen Beschreibung aller bekannten physikalischen Phänomene müsste diese Vereinigung aber auch die vierte Grundkraft, die Gravitation, mit der allgemeinen Relativitätstheorie einbeziehen. Eine solche Theorie, die Quantenphysik und Gravitationstheorie vereint (Quantengravitation), wird „Weltformel“ (theory of everything, TOE) genannt.


Schon Albert Einstein war auf der Suche nach einer „Weltformel“. Doch es gelang ihm nicht, seine allgemeine Relativitätstheorie (ART) mit der Quantentheorie im Rahmen der bekannten physikalischen Gesetze miteinander in Einklang zu bringen. Widersprüche traten zwar erst bei unvorstellbar kleinen Abständen von 10-33 cm zutage, aber um zu verstehen, was zum Beispiel im Inneren eines schwarzen Loches oder in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall „passiert“, müssen diese Widersprüche aufgelöst werden. Die Gravitation hat sich einer Quantenbeschreibung bislang erfolgreich widersetzt. Wie eine Theorie der Quantengravitation aussehen könnte, ist eine der offenen Fragen der Physik. Die Weltformel soll alle physikalischen Phänomene im bekannten Universum präzise beschreiben und in einer Theorie von Allem miteinander verknüpfen. Sie müsste einerseits die allgemeine Relativitätstheorie von Einstein, die Quantenfeldtheorie, die Quantentheorie der Gravitation einschließlich einer Beschreibung oder Vermeidung von Singularitäten enthalten, andererseits die bisher beobachteten Kräfte und Teilchen nebst den Massen, Kopplungskonstanten und Mischungswinkel des Standardmodells der Elementarteilchen erklären, das Standardmodell der Kosmologie beschreiben (einschließlich der Vorgänge im frühen bzw. im späten Universum), das asymptotische Verhalten der Elementarteilchen auf winzigen bzw. sehr großen Raum- und Zeitskalen sowie die Natur der dunklen Materie und der dunklen Energie klären. 


Das asymptotische Verhalten (asymptotische Freiheit) beschreibt einen speziellen Effekt der Quantenchromodynamik: Mit steigenden Energien nimmt die Stärke der Wechselwirkung bzw. die Kopplungsstärke zwischen den Elementarteilchen (Quarks) ab, d. h. mit steigenden Energien verhalten sie sich asymptotisch wie freie Teilchen. Dieser Effekt lässt sich auch für kleine Abstände beobachten.


In den 70er-Jahren gelang es den Forschern Sheldon Glashow, Steven Weinberg und Abdus Salam in einem ersten Schritt den Elektromagnetismus und die schwache Kernkraft miteinander zu vereinen. Sie konnten theoretisch nachweisen, dass beide Kräfte bei hohen Energien von rund 100 Giga-Elektronenvolt verschmelzen. Sie vereinen sich dann zu einer übergeordneten Kraft – der sogenannten elektroschwachen Wechselwirkung. Erst bei niedrigeren Temperaturen und Energien bricht diese Symmetrie zusammen – unter anderem durch Einwirkung des Higgs-Mechanismus. Denn er verleiht den Eichbosonen der schwachen Kernkraft eine Masse, dem Photon aber nicht. Der nächste Schritt, die Vereinigung der starken Kernkraft mit dem Elektromagnetismus und der schwachen Kernkraft, scheiterte an den technischen Möglichkeiten. Selbst die stärksten Teilchenbeschleuniger können nicht in den Energiebereich vordringen, der für eine Verschmelzung von starker und elektroschwacher Wechselwirkung nötig wäre. Sie lässt sich daher experimentell nicht direkt beweisen. Messungen deuten inzwischen auch darauf hin, dass allein höhere Energie nicht ausreicht, um auch die starke Kernkraft einzubeziehen. Eine Möglichkeit, die Existenz einer vereinheitlichten Kraft zu prüfen, sind aber Protonenzerfälle, die von nahezu allen vereinheitlichten Theorien vorhergesagt werden. Durch das bisherige Ausbleiben eines Nachweises solcher Zerfälle in Detektoren konnten die meisten GUT-Modelle ausgeschlossen werden.


Die Forscher haben auch herausgefunden, dass, wenn es nur die Teilchen gibt, die bisher im Standardmodell vorkommen, sie sich in keiner Größenordnung vereinen. Neuere GUT-Theorien versuchen daher, dieses Problem durch zusätzliche Teilchen oder Dimensionen zu umgehen, darunter die Supersymmetrie und die Stringtheorie.

 

  • Die Supersymmetrie ist eine hypothetische Symmetrie der Teilchenphysik, nach der sich die Bosonen und Fermionen ineinander umwandeln können. Die Teilchen, die sich unter einer Supersymmetrie-Transformation ineinander umwandeln, werden Superpartner genannt. Bis heute konnte jedoch nicht experimentell werden, dass Supersymmetrie tatsächlich in der Natur existiert – insbesondere wurden noch keine Superpartner bekannter Teilchen beobachtet. Das bedeutet, dass diese Symmetrie, wenn sie existiert,gebrochen ist. Der Brechungsmechanismus und die Energie, ab der die Symmetrie gelten würde, sind unbekannt.


  • Der Stringtheorie zufolge haben die Grundbausteine der Natur, bzw. die Elementarteilchen der Quantenfeldtheorie nicht die Form punktförmiger Teilchen (räumliche Dimension Null), sondern verhalten sich in der Raum-Zeit vielmehr wie vibrierende Strings (Fäden oder Saiten) mit eindimensionaler räumlicher Ausdehnung. In Weiterentwicklungen der Stringtheorie werden auch höherdimensionale Objekte („Brane“) betrachtet. Damit das Ganze mathematisch konsistent ist, muss sich das Universum der Stringtheorie in zehn Raumzeit-Dimensionen ausdehnen. 


Bisher sind beide Modelle nur theoretische Gedankengebäude ohne experimentellen Nachweis.  Als aussichtsreichster Kandidat für die Weltformel gilt immer noch die Stringtheorie oder vielmehr die Vereinheitlichung der fünf bisher entwickelten Stringtheorie-Approximationen, die sogenannte M-Theorie, die auch die Supergravitation umfasst, und die Schleifenquantengravitation.


  • Supergravitation ist eine hypothetische Feldtheorie in der Physik, welche die Prinzipien der allgemeinen Relativitätstheorie und der Supersymmetrie vereinigt.


  • Schleifenquantengravitation ist eine hypothetische Theorie zur Vereinigung der Quantenphysik mit der allgemeinen Relativitätstheorie. 


Beide Theorien gelten heute als eine der größten Herausforderungen der Physik. Von den 2010 im CERN begonnenen Experimenten am Large Hadron Collider hatten sich die Wissenschaftler entsprechende Erkenntnisse für eine Weltformel erwartet. Diese Erwartung hat sich jedoch bisher nicht bestätigt: Die Suche nach der Weltformel blieb erfolglos. Weder gelang eine Vereinigung der starken und elektroschwachen Kraft in einer großen vereinheitlichten Theorie, noch eine Vereinigung dieser Kräfte mit der Gravitation.


Ein anderer Ansatz, um eine Weltformel zumindest theoretisch formulieren, ist der Laplacesche Dämon.  Mithilfe des Laplaceschen Dämons wird die erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Auffassung veranschaulicht, das es im Sinne der Vorstellung eines geschlossenen mathematischen Weltgleichungssystems möglich ist, unter der Kenntnis sämtlicher Naturgesetze und aller Initialbedingungen wie Lage, Position und Geschwindigkeit aller im Kosmos vorhandenen physikalischen Teilchen, jeden vergangenen und jeden zukünftigen Zustand zu berechnen und zu determinieren. Nach dieser Aussage wäre es also theoretisch möglich, eine Weltformel aufzustellen. Der Laplacesche Dämon ist ein Entwurf des französischen Mathematikers, Physikers und Astronomen Pierre-Simon Laplace (*1749; † 1827).. Grundlage dieser Überlegung ist der Gesetzesdeterminismus. Danach soll das Universum einem perfekten Uhrwerk gleichen; das heißt Gott habe das Universum mit seinen Gesetzen so geschaffen, wie ein Uhrmacher die perfekte Uhr bauen würde. Einmal erschaffen und in den richtigen Ausgangszustand gebracht, laufe das Universum unerbittlich nach dem Willen der göttlichen Vorsehung ab. In seinem Vorwort des Essai philosophique sur les probabilités von 1814 beschreibt Laplace sein Gedankenexperiment: Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Universums als Folge eines früheren Zustandes ansehen und als Ursache des Zustandes, der danach kommt. Eine Intelligenz, die in einem gegebenen Augenblick alle Kräfte kennt, mit denen die Welt begabt ist, und die gegenwärtige Lage der Gebilde, die sie zusammensetzen, und die überdies umfassend genug wäre, diese Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen, würde in der gleichen Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper und die des leichtesten Atoms einbegreifen. Nichts wäre für sie ungewiss, Zukunft und Vergangenheit lägen klar vor ihren Augen.


Nach der Relativitätstheorie ist es jedoch nicht möglich, den ganzen Kosmos zu erfassen, da Informationen maximal mit Lichtgeschwindigkeit transportiert werden können. D. h., es bildet sich ein „Horizont“, über den der Dämon nicht hinaus blicken könnte. Er kann also nicht alle Zustände des Universums erfassen und folglich auch nicht vorhersagen. Diese Erkenntnis verbietet, dass der Dämon existieren kann. Auch in der Quantenphysik lassen sich keine deterministischen, genauen Voraussagen treffen, es sind nur Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich. Dies ist nach der Standardinterpretation der Quantenmechanik (= Kopenhagener Deutung) nicht durch die Unkenntnis verborgener Variablen bedingt, sondern spiegelt einen auf Quantenebene existierenden absoluten Zufall wider. Daher ist also nicht nur der Laplacesche Dämon, sondern der Determinismus an sich falsch. Es gibt allerdings auch deterministische Interpretationen der Quantenmechanik, z. B. die Viele-Welten-Interpretation des US-amerikanischen Physikers Hugh Everett III, womit die unterschiedlichen möglichen Zustände eines Quantensystems nach einer Messung beschrieben werden. Im Bereich der Quantenphysik sind bestimmte Messgrößen ein und desselben Systems komplementär zueinander, d. h., die Messung der einen Größe bewirkt, dass der Wert der anderen Größe völlig unbestimmt wird. Bei der Messung einer quantenmechanischen Messgröße, spaltet sich das Universum (inklusive Beobachter) dann auf und realisiert in jeder der vielen-Welten einen der möglichen Eigenwerte. Dieses Gedankenexperiment beruht darauf, dass immer, wenn ein System zwei verschiedene Zustände einnehmen kann, auch die kohärente Überlagerung der beiden Zustände einen möglichen Zustand darstellt. Erst wenn eine Beobachtung oder Messung durchgeführt wird, mit der man zwischen den beiden ursprünglichen Zuständen unterscheiden kann, nimmt das System einen von beiden an. Eingebettet in den Formalismus der Quantenkosmologie verspricht diese Deutung die Existenz von Paralleluniversen.


Zur Verdeutlichung:  Schrödingers-Katze-Paradoxon ist ein Gedankenexperiment aus der Physik, das 1935 von dem österreichischen Physiker und Wissenschaftstheoretiker Erwin Schrödinger (*1887; † 1961) formuliert wurde,  um einen Schwachpunkt der Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik in Bezug auf die physikalische Realität aufzuzeigen. In dem Gedankenexperiment wird eine Katze durch die Gesetze der Quantenmechanik in einen Zustand gebracht wird, in dem sie gleichzeitig lebendig und tot ist. In einem geschlossenen Kasten befindet sich eine Katze und ein instabiler Atomkern, der innerhalb einer bestimmten Zeitspanne mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zerfällt. Der Zerfall löst mittels eines Geigerzählers die Freisetzung von Giftgas aus, welches die Katze tötet. Ohne Wechselwirkung mit der Außenwelt befindet sich Schrödingers Katze, quantenmechanisch beschrieben, in einem überlagerten Zustand. Sie ist sowohl lebendig als auch tot. Erst durch eine direkte Beobachtung, also Öffnung der Kiste, lässt sich dieser unbestimmte und gemischte Zustand schließlich entscheiden. Allerdings tritt gemäß der Dekohärenztheorie die von Schrödinger beschriebene Situation in der Realität so nicht ein, da es bei makroskopischen Systemen immer zu einer Unterdrückung der Kohärenzeigenschaften des quantenmechanischen Zustands kommt.  Dekohärenzeffekte ergeben sich, wenn ein bislang abgeschlossenes System mit seiner Umgebung in Wechselwirkung tritt. Selbst durch die Wand des Kastens hindurch steht die Katze im thermischen Konktakt mit der Außenwelt, wodurch permanent mikroskopische Information über den Zustand nach außen gelangt. Dadurch findet nach extrem kurzer Zeit ein effektiver Kollaps der Wellenfunktion im Sinne der Kopenhagener Deutung statt. Die Viele-Welten-Interpretation enthält keinen Kollaps der Wellenfunktion und erklärt dessen subjektives Erscheinen mit dem Mechanismus der Quanten-Dekohärenz, was die seit dem 20. Jahrhundert intensiv diskutierten physikalischen Paradoxa der Quantentheorie, wie das oben beschriebene Schrödingers-Katze-Paradoxon und andere Paradoxa (z. B. das ERP-Paradoxon) auflöst, da jedes mögliche Ergebnis jedes Ereignisses in seiner eigenen Welt realisiert ist.


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