Das Higgs Teilchen

Das Higgs-Teilchen ist ein Elementarteilchen aus dem Standardmodell der Elementarteilchenphysik. Alle Elementarteilchen (unter anderem das Elektron) außer dem Higgs-Boson selbst erhalten ihre Masse erst durch die Wechselwirkung mit dem im ganzen Universum allgegenwärtigen Higgs-Feld.  Da das Higgs-Feld selber nicht direkt messbar ist, muss bei seiner Existenz ein Elementarteilchen auftreten, das sogenannte  „Higgs-Boson oder Higgs-Teilchen“. Dieses war lange das einzige Teilchen des Standardmodells, das nicht endgültig nachgewiesen werden konnte; mittlerweile gilt die Existenz eines Higgs-artigen Bosons als gesichert. Die Bausteine des Standardmodells der Teilchenphysik lassen sich in vier Gruppen aufteilen: die Quarks (die Grundbausteine der Atomkerne), die Leptonen (z. B. das Elektron), die Eichbosonen (die die Wechselwirkungen zwischen Teilchen vermitteln) und das Higgs-Feld.


Die Materie besteht aus Materieteilchen. Insgesamt gibt es zwölf Materieteilchen, die in sechs Quarks und sechs Leptonen unterteilt werden. Beide Gruppen bestehen aus Teilchen dreier Familien. Die Teilchen unterscheiden sich in ihrer Masse voneinander.

Die Materieteilchen der zweiten und dritten Familie sind schwerer als die der ersten Familie. Zudem sind die Elementarteilchen der zweiten und dritten Familie instabil, das heißt, sie zerfallen in Teilchen der ersten Familie. Materieteilchen der zweiten und dritten Familie gab es in der Frühphase unseres Universums in großen Mengen. Sie sind im Laufe der Ausdehnung des Universums in ihre leichteren Geschwister zerfallen. Heute besteht die uns umgebende sichtbare Materie ausschließlich aus Teilchen der ersten Familie: Up-Quarks, Down-Quarks und Elektronen. Zwischen den Materieteilchen herrschen Wechselwirkungen oder Kräfte, die die Materie zusammenhalten. Diese Wechselwirkungen, die zwischen den Materieteilchen herrschen, sind die elektromagnetische, die schwache und die starke Kraft. Sie entstehen, weil die Materieteilchen winzige Kraftteilchen, sogenannte Bosonen, austauschen.


Lange war unklar, woher die Elementarteilchen ihre Masse haben. Wissenschaftler vermuteten, dass die Wechselwirkung der Teilchen mit einem überall vorhandenen Feld, dem sog. Higgs-Feld, die Masse erzeugt. Bereits in den 60er-Jahren stellte der britische Physiker Peter Higgs (* 1929) die Hypothese auf, nach der Elementarteilchen ihre Masse erst durch die Wechselwirkung mit dem Higgs-Feld erhalten, welches im ganzen Universum allgegenwärtig ist. Die Higgs-Bosonen übertragen keine Kräfte, sondern sind mit einem Feld (Higgs-Feld) verbunden, das den anderen Elementarteilchen Masse verleihen kann. In der Quantentheorie ist postuliert, dass ein Feld grundsätzlich immer mit einem Teilchen verbunden sein muss, also folgt aus dem Higgs-Feld die Notwendigkeit eines Teilchens, das sog. Higgs-Boson. Peter Higgs wurde für die theoretische Entwicklung des Higgs-Mechanismus im Jahr 2013 der Nobelpreis für Physik zuerkannt.


Die Welt, in der wir leben, beruht, auf allgegenwärtigen Grundmustern, den sogenannten Symmetrien. Von dieser seltsamen Ordnung der Natur waren schon die Philosophen und Naturforscher des Altertums fasziniert. Der griechische Bildhauer Polykleitos war 500 vor Christus der Erste, der hierfür den Begriff „sum metria“ – Gleichmaß – prägte. In der modernen Physik wird damit die Eigenschaft eines Systems bezeichnet, nach einer bestimmten Änderung (Transformation) unverändert (invariant) zu bleiben. Symmetrien sind wichtige physikalische Eigenschaften eines Systems, da sie unter anderem die Erfüllung von Erhaltungssätzen oder die Existenz von Elementarteilchen bedingen können. Das von der deutschen Mathematikerin Emmy Noether formulierte Noether-Theorem besagt: Zu jeder kontinuierlichen Symmetrie eines physikalischen Systems gehört eine Erhaltungsgröße. Typische Erhaltungsgrößen sind der Energieerhaltungssatz, der Impulserhaltungssatz oder der Drehimpulserhaltungssatz. Wichtig sind aber nicht nur die Symmetrien selbst, sondern auch Symmetriebrechungen. Damit ist die Verletzung einer Symmetrie bzw. speziell der Phasenübergang von einer Phase oder einem Zustand höherer Symmetrie in eine Phase oder einen Zustand geringerer Symmetrie gemeint: Beispiel Higgs-Mechanismus.


Auch das Standardmodell der Elementarteilchenphysik fußt auf bestimmten Symmetrien (= Eichsymmetrien).  Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik enthält zwei solcher Eichtheorien:


  • die Theorie der elektroschwachen Wechselwirkung mit der Symmetriegruppe SU(2)
  • die Theorie der starken Wechselwirkung mit der Symmetriegruppe SU(3) .


In der Theorie der elektroschwachen Wechselwirkung wird die Eichsymmetrie durch den Higgs-Mechanismus gebrochen, wozu das Higgs-Boson benötigt wird. Im Higgs-Mechanismus stattet das Higgs-Feld, das sich unendlich im Raum erstreckt, die Teilchen mit Masse aus. Die Symmetriebrechung läuft dabei wie folgt ab: Das Higgs-Boson koppelt an sämtliche Teilchen, d.h. es kann mit jedem Teilchen wechselwirken. Dabei ist die Stärke dieser Kopplung proportional zur Masse des Teilchens. Dadurch, dass das Higgs-Boson nun an alle Teilchen koppelt, verschafft es ihnen Schwere: die Teilchen erhalten eine Masse.


Der deutsche Physiker Max Planck (1858 – 1947) weist in seiner Quantentheorie bereits darauf hin, dass eine kritische Masse (Planck-Masse oder äquivalent Planck-Energie) existiere, ab der, eine Beschreibung der Symmetrien, mithilfe Relativitätstheorie und Quantentheorie versagen müsse. Ab der kritischen Energie sind weder die Allgemeine Relativitätstheorie noch die Quantentheorie, für sich allein kein adäquates Konzept mehr zur Beschreibung der Vorgänge, sodass eine Quantengravitation – das heißt eine quantisierte Gravitationstheorie – gefunden werden muss. Die Quantengravitation ist derzeit noch in der Entwicklung. Sie soll Quantentheorie und vereinigen. Während die allgemeine Relativitätstheorie nur eine der vier Elementarkräfte des Universums beschreibt, nämlich die Gravitation, behandelt die Quantentheorie die anderen drei Elementarkräfte (elektromagnetische Wechselwirkung, und starke Wechselwirkung).


Aber zurück zur Symmetrie. Die Symmetriebrechung muss bei einer höheren Temperatur, als diejenige, die für unsere Umgebung typisch ist, stattgefunden haben. Im Higgs-Modell nimmt man nun an, dass die Symmetrie bei einer kritischen Temperatur gebrochen wurde und in eine Aufspaltung in die bekannten vier Naturkräfte gemündet habe. Oberhalb der kritischen Temperatur wird die Symmetrie restauriert und es gibt nur zwei Naturkräfte: X-Kraft und Gravitation. In der Frühphase des Universums, nur 10-36 bis 10-33 Sekunden nach dem Urknall, als das Universum etwa 1029 K (entsprechend 1016 GeV) heiß war, manifestierten sich elektromagnetische, schwache und starke Wechselwirkung als eine identische Kraft, die X-Kraft. Sie war die einzige Kraft, die neben der Gravitation vorherrschte.


Mithilfe der Großen Vereinheitlichten Theorien (engl. Grand Unified Theories, kurz GUT) wird beschrieben, wie die Symmetrie zwischen elektromagnetischer, schwacher und starker Kraft hergestellt werden kann. Mit der Großen Vereinheitlichten Theorie war erstmals die Vereinigung von dreien der fundamentalen Naturkräfte gelungen. Das heißt, die elektromagnetische, schwache und starke Wechselwirkung von Elementarteilchen konnten durch ein einziges Grundprinzip beschrieben werden. Theorien, die auch noch die Gravitation mit einbeziehen, fallen unter die Bezeichnung Weltformel oder Theorie für alles (engl. Theorie of Everything, TOE. Versuche, die physikalische Wirklichkeit auf ein einziges Prinzip zurückzuführen, reichen bis in die Antike zurück. Für die Weltformel ist insbesondere die Einbeziehung der Gravitation notwendig. Die Forscher gehen davon aus, dass dies bei einer Energie von etwa 1019 GeV stattfindet (der Planck Energie), weil die Wechselwirkungsstärke der einzelnen Grundkräfte dann alle vergleichbar stark sind, und weil bei der Planck Energie die Gravitations- und die Quantenfeldtheorie in jedem Fall gleichzeitig angewandt werden müssen. Die GUT-Energie ist sehr nahe an der fundamentalen Planck-Energie. Typische Energien liegen im Bereich von 1016 GeV, was Temperaturen von 1029 Kelvin entspricht. Das ist ein recht unangenehmes Milieu für die Entstehung von Leben. Die moderne Kosmologie ist überzeugt, dass dies im sehr frühen Universum, während der sogenannten GUT-Ära, der Fall war.


Peter Higgs entwickelte sein Konzept vom Higgs-Mechanismus aus den Erkenntnissen der Festkörperphysik. Im Festkörper gibt es ein Gitter aus positiv geladenen Atomrümpfen, die das Gitter des Festkörpers bilden. Bewegt sich ein Elektron durch das Gitter, so wird dessen effektive Masse gegenüber der eines freien Elektrons erhöht, weil das Elektron vom positiven Gitter angezogen wird. Das Elektron wird schwerer. Das Higgs-Teilchen funktioniert auf analoge Weise. Es verleiht den drei Eichbosonen der schwachen Wechselwirkung, den schweren W+-, W-- und dem Z-Teilchen ihre Masse, nicht jedoch dem (ruhe-)masselosen Photon. Die hohen Massen der intermediären Eichbosonen W+, W- und Z sind damit in der Teilchenphysik starke Indizien für die Existenz des Higgs-Bosons. Die Existenz des Higgs-Boson wurde im Juli 2012 durch die Untersuchungen mit dem Large Hadron Collider am Forschungszentrum CERN bestätigt.


Das Higgs-Boson wird auch Gottesteilchen genannt. Der Begriff wurde vom Physiker Leon Max Lederman geprägt, der als Grund für die Benennung einen metaphorischen Vergleich zur Geschichte der babylonischen Sprachverwirrung, die in der Bibel (Genesis 11: 1-9) erzählt wird, nannte. Demnach habe die Materie im Universum ein ähnliches Schicksal erfahren, wie die Menschen, die in dieser Geschichte ihre gemeinsame Sprache verloren. Allerdings wird der Begriff ‚Gottesteilchen‘  in der seriösen Wissenschaft nicht verwendet.

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