Der Flug der Monarchfalter

Jedes Jahr im September und November flattern Millionen orange-schwarze Monarchfalter (Danaus plexippus) von Norden kommend in die Sierra Nevada nordwestlich von Mexico City, um ihr Winterquartier zu beziehen. Die zwei bekanntesten Schutzgebiete für die Monarchen, liegen bei El Rosario und Sierra Chincua. Die Schutzgebiete gehören zum 56 259 Hektar großen Biosphärenreservat Mariposa Monarca, das seit 2008 Weltnaturerbe ist. Riesige Schwärme von Schmetterlingen flattern immer am selben Tag, unerklärlicherweise am Tag der Toten im gut 100 Kilometer nordwestlich von Mexiko-Stadt liegenden Örtchen Angangueo ein und bedecken die dort an den Hängen des Hochtals kerzengerade wachsenden Oyamelbäume (Abies religiosa = heilige Tannen). Deren kreuzförmig angeordnete Zweige bieten Schutz, sie erlauben den Faltern, sich besonders eng zusammenzudrücken. In den dichten Tannenwäldern steigt die Temperatur tagsüber kaum über 18 Grad, und Minusgrade sind selbst in Winternächten selten. Zudem geben die Bäume nachts gespeicherte Wärme ab. Doch im Vergleich zur Mitte der 1970er-Jahre, als dieses Naturwunder erstmalig entdeckt wurde, ist es heute nur noch ein Abklatsch von damals. Die Art ist gefährdet, weil US-amerikanische Farmer Pestizide ausbringen. Der Monarchfalter überlebt aber nur im Schwarm. Wenn die Schmetterlinge den Bergwald in Mexiko erreichen, haben sie einen bis zu 4000 Kilometer weiten Flug hinter sich. Sie kommen aus Minnesota, Wisconsin, aus Neu-England oder sogar aus Kanada. Doch wie finden die Schmetterlinge ihr weit entferntes Ziel? Die erdumspannende Navigation über Tausende Kilometer hinweg , ist umso erstaunlicher, als die Erinnerung den Tieren bei ihrer Reise nicht weiterhilft. Denn im Verlaufe eines Jahres werden mindestens drei Faltergenerationen geboren. Im Oktober treffen in Mexiko also stets die Urenkel derer ein, die im Vorjahr von dort aufgebrochen sind. Die Route in die mexikanische Sierra Nevada kann also nicht in der Erinnerung der Tiere gespeichert sein, sondern muss auf rätselhafte Weise im Erbgut kodiert sein. Seit Langem suchen Forscher daher nach den genetischen Ursachen des erstaunlichen Orientierungssinns der Schmetterlinge. Jetzt haben Forscher das Erbgut der Schmetterlinge entziffert und sind zu bemerkenswerten Ergebnissen gekommen.


Die Ahnen der Monarchfalter lebten vor rund zwei Millionen Jahren in den Tropen Lateinamerikas. Warum die Spezies aufbrach, den nordamerikanischen Kontinent zu besiedeln, ist nicht bekannt.  Doch von hier aus siedelte sich die Spezies in Zentral- und Südamerika an, von wo dereinst ihre Urahnen gekommen waren. Dann, den Gendaten zufolge, gelang ihnen vor 2000 bis 3000 Jahren sogar der Sprung über die Ozeane: Die Art gelangte bis nach Portugal, Spanien oder Marokko, nach Hawaii, Samoa oder sogar bis nach Neuseeland. Doch wo immer sie auch auftauchten, fast augenblicklich verließ sie die Lust zu reisen. Die Monarchfalter außerhalb Nordamerikas gingen allesamt zu einem sesshaften Lebenswandel über. Ein Vergleich des Erbgutes dieser Auswanderer mit dem der Ursprungspopulation in Nordamerika ergab Erstaunliches. Die der Schmetterlinge besitzen ein Collagen-Gen, das eine wesentliche Rolle bei der Ausbildung der Flugmuskeln spielt. Dieses Gen war bei allen untersuchten Faltern in der gleichen charakteristischen Weise verändert. Die sesshaften Falter, flattern kräftig, aber wenig energieeffizient. Ihre wandernden Artgenossen dagegen fliegen in einer Art Energiesparmodus, der es ihnen erlaubt, weite Strecken zurückzulegen. Wie die Tiere auf diesen Strecken allerdings ihren Weg finden, konnte die Entschlüsselung des Erbgutes nicht beantworten. Bekannt war, dass die Schmetterlinge sich an der Sonne orientieren? Doch wie finden sie ihren Weg bei bedecktem Himmel? Weist ihnen vielleicht das Magnetfeld der Erde den Weg? Eine im Juni 2014 veröffentlichte US-Studie im Fachjournal "Nature Communications bestätigt diese Vermutung. Die amerikanischen Monarchfalter orientieren sich bei ihrem Flug in südliche Gefilde nicht nur an der Sonne, sondern Sie nutzen auch einen Magnetkompass, um ihr Winterquartier zu finden.


Forscher der University of Massachusetts in Worcester, setzten Monarchfalter in einen speziellen Flugsimulator-Käfig, bei dem über Magnetspulen ein künstliches Magnetfeld angelegt wurde. Zudem wurde über Lichtfilter die Wellenlänge des einstrahlenden Lichts gesteuert.

Die Versuche ergaben, dass die Tiere offenbar einen sogenannten Inklinationskompass besitzen. Sie nehmen den Neigungswinkel der Magnetfeldlinien relativ zur Erdoberfläche wahr, die sogenannte Inklination. Dabei unterscheiden sie nicht zwischen magnetischem Nord- und Südpol, wie bei einem normalen Kompass, sondern zwischen "polwärts" und "äquatorwärts": Am Pol laufen die Magnetfeldlinien senkrecht in den Boden, am Äquator verlaufen sie parallel zur Erdoberfläche. Die Versuche ergaben auch, dass der Kompass lichtabhängig ist. Er funktioniert nur, wenn UV-Licht mit Wellenlängen zwischen 380 und 420 Nanometern auf die Tiere fällt. Basis des ungewöhnlichen Kompasssystems seien wahrscheinlich licht sensible Magnetsensoren in den Antennen der Schmetterlinge. Denn wurden diese schwarz übermalt, funktionierte der Kompass nicht mehr.


Welche Gene für den Marathonflug gen Süden dabei an- oder abgeschaltet werden, blieb bisher ein Geheimnis der Natur.


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