Die rätselhaften Wanderungen des Zooplanktons

Zweimal am Tag brechen unzählige Organismen im Meer auf zur größten Tierwanderung der Welt.  Jeden Abend nach Sonnenuntergang beginnen sie eine Reise in Richtung Oberfläche. Kurz vor Sonnenaufgang folgt die Rückreise in die Tiefe. Die meisten dieser Organismen sind Lebewesen des Planktons, Kleinstlebewesen aus dem Wasser, die sich mithilfe der Strömung fortbewegen. Es gibt Phytoplankton aus kleinen Pflanzen und Zooplankton aus winzigen Tieren (z. B. Ruderfußkrebse, Flügelschnecken etc.). Phytoplankton sind einzellige Algen, die sich in den oberen Schichten der Ozeane aufhalten und von Fotosynthese leben. Seit dem 19. Jahrhundert ist bekannt, dass Zooplankton, also tierisches Plankton, täglich in die Tiefe, weg vom Licht schwimmt. Die Ausmaße dieses Phänomens im Ozean ist gigantisch. Mithilfe von Sonartechnik wurde im Meer in 300 bis 500 Metern Tiefe eine schallreflektierende Schicht aus Plankton festgestellt, die als »deep scattering layer«  bezeichnet wird und tagsüber mehrere hundert Meter weit aufsteigt.

Auch Krill Plankton, garnelenartige Tiere, die in riesigen Schwärmen durch die Nordmeere ziehen, unternimmt solche Tiefreisen. Dieses rätselhafte Wanderverhalten existiert weltweit, auch wenn Uhrzeiten und die zurückgelegten Höhenmeter schwanken. Beeinflusst wird der Ablauf jedoch durch Breitengrad, Jahreszeit oder beteiligte Tierarten wie Fische oder Wale. Mittlerweile sind sich Forscher sicher, dass diese Vertikalmigration für das Meeresökosystem, die Fischerei und die Klimaforschung von enormer Bedeutung sind. Forscher waren lange uneins, ob ein äußerer Stimulus, wie Licht oder Sauerstoffgehalt, oder etwa ein genetisch vorprogrammierter Trieb, die Wanderungen auslöst. Mittlerweile tendiert man zu einer gemischten Theorie: Gene steuern den Rhythmus und Sonnenlicht sowie andere Umwelteinflüsse passen den Takt an. Selbst im stockdunklen Polarwinter vollführt Krill die täglichen Wanderungen – obwohl die Sonne als Taktgeber fehlt. Dennoch bewegen sich Milliarden von Krebsen und Einzeller regelmäßig auf und ab. Wie Forscher jetzt herausgefunden haben, dient diesen Meerestieren dabei der Mond als Taktgeber. Die Tiere folgen dabei nicht dem 24-Stunden-Tag, sondern einem Takt von 24,8 Stunden. Diese Periode entspricht der Zeitspanne, die der Mond über dem Horizont zu sehen ist – einem Mondtag gewissermaßen. Wie sie das schwache Mondlicht im Wasser wahrnehmen, ist jedoch bisher unklar. Viele Untersuchungen legen nahe, dass sich dieses Verhalten im Laufe der Evolution entwickelt hat, um im Schutz der Dunkelheit zu bleiben und Jägern zu entkommen. Zooplankton oder Krill ernährt sich von Phytoplankton wie etwa Kieselalgen. Letztere brauchen für die Fotosynthese viel Licht und schweben deshalb nahe der Oberfläche. Doch Zooplankton ist im vollen Tageslicht leichte Beute für Fressfeinde. Das wäre ein Grund, weshalb so viele Tierarten im Wasser auf- und ab schwimmen: Sie fressen vorsichtshalber nur nachts. Die Wanderung des Planktons hat noch wichtige Nebeneffekte: Plankton baut CO₂ ab und produziert über die Hälfte des Sauerstoffs der Atmosphäre. Durch Fotosynthese entzieht Phytoplankton der Atmosphäre Kohlendioxid (CO₂) und bindet es zu Kohlenstoff. Dieser geht in den Nahrungszyklus ein und verbleibt dann in gebundener Form. Ein Teil des gebundenen Kohlenstoffs sinkt mit den Ausscheidungen der Tiere in die Tiefe. Ein weiterer Teil verbleibt im Plankton. Phytoplankton im Meer besteht im Verhältnis von 106 zu 16 zu 1 aus Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor. Je wärmer das Wasser, desto mehr Kohlenstoff enthält das Plankton. Die fortschreitende Klimaerwärmung könnte diesen Prozess nachteilig beeinträchtigen. Zooplankton ist die Hauptnahrungsquelle für viele Arten von Süß- und Meerwasserfischen insbesondere auch Wale. Sie haben sich über viele tausend Jahre an die Nahrungsquelle, Zooplankton und deren ernährungsphysiologischen Abläufe angepasst.  Das Nahrungsverhalten kann durch die globale Erwärmung ebenfalls negativ beeinflusst werden.

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