Lebenskraft

Leben ist ein ständiger chemischer Prozess des Auf- und Abbaus organischer Substanzen, der sich aus dem Stoffaustausch zwischen einem Organismus und seiner Umwelt ergibt. Dies macht es für einen lebenden Organismus unmöglich, ohne die äußere Umgebung zu existieren. Die Grundlage alles Lebendigen ist die Lebenskraft (vis Vitalis). Die Lehre von einer Lebenskraft, die allen Organen und Geweben als eigenständiges Prinzip des Lebens zukommt und deren normales Funktionieren Gesundheit und deren Versagen Krankheit und Tod bedeutet, wird als Vitalismus bezeichnet. Die moderne Biologie behauptet zwar, dass Lebenskraft bzw. Lebensenergien zur Herstellung organischer Substanzen nicht notwendig sind. Von Vitalisten wird hierzu allerdings darauf hingewiesen, dass die manipulierte oder spontane Entstehung von einzelnen Lebensbausteinen keineswegs mit der Entstehung belebter Substanz gleichzusetzen sei. So setzte z. B. der deutsche Alchemist, Chemiker, Mediziner und Metallurg, Georg Ernst Stahl (*1659, † 1734) die Seele mit der Lebenskraft und dem Lebensprinzip gleich. Der Hinduismus setzt Lebenskraft (Prana) mit dem Atem gleich. Prana findet in Ritual- und Opfertexten des frühen Hinduismus, den sogenannten Brahmanas Erwähnung. Ebenso in älteren philosophischen Schriften, den Upanishaden. In den Brahmanas wird in Fortsetzung zu den Upanishaden zwischen sichtbaren und unsichtbaren Bestandteilen des Menschen unterschieden. Im Gegensatz zu den fünf sterblichen Bestandteilen – die da sind


1.     Haare

2.     Haut

3.     Fleisch

4.     Knochen

5.     Mark


werden häufig die fünf unsichtbaren Bestandteile des Menschen, wie


1.     Denken (Manas)

2.     Reden

3.     Atem (Prana)

4.     Sehen

5.     Hören


genannt und als unsterbliche Bestandteile bezeichnet. In dieser Vorstellung wird der Atem als zentrale Lebenskraft verstanden.


In den Upanishaden steht Prana in engem Zusammenhang mit Atman (Seele). Prana durchzieht jedes Leben, ist aber nicht der Atman oder das individuelle Selbst. In der Kaushitaki-Upanishad heißt es: Ich bin der Atem (prana). Als den aus Erkennen bestehenden Atman, als Leben, als Unsterblichkeit verehre mich. Der Atem ist Leben und das Leben ist Atem. Denn solange der Atem in diesem Körper weilt, solange weilt auch das Leben. Prana ist ein wesentlicher Bestandteil der Yoga- und der Tantra-Lehre. Den Vorstellungen des Yoga und des Tantra zufolge zirkuliert Prana im Körper durch ein System von Kanälen (Nadi).  Das sind feinstoffliche Energieleitbahnen, die den Körper durchziehen und mit Prana (Lebensenergie) versorgen sollen. Als solche sind sie insbesondere als Verbindungen zwischen den Energiezentren des Körpers, den sogenannten Chakren von Bedeutung.  Prana ist die wichtigste Lebenskraft - die feinstoffliche Energie der Luft. Prana ist der Unterschied zwischen einem lebendigen Menschen und einem toten Menschen. Bei letzterem fehlt Prana.


Im Daoismus wird die Lebenskraft als Qi bezeichnet. Wie Prana durchfließt auch Qi den Menschen. Gerät dieser Fluss ins Stocken, entstehen Krankheiten. Kommt der Fluss zum Stillstand, bedeutet dies den Tod. Qi hat zwei Quellen:


  • das vorgeburtliche Qi
  • das nachgeburtliche Qi


Das vorgeburtliche Qi wird während der Zeugung auf das Kind übertragen. Es kann nach der Geburt nicht mehr aufgefüllt werden und wird im Laufe des Lebens aufgebraucht. Deshalb ist ein sorgsamer Umgang mit dem vorgeburtlichen Qi angebracht. Hauptsächlich der Lebenswandel hat Einfluss darauf. Das nachgeburtliche Qi wird in zwei Arten unterteilt: in das Qi der Atmung (= Prana) und in das Qi der Nahrung. Atmung und Nahrung sind die wichtigsten Energiequellen, um das vorgeburtliche Qi zu schützen und so lange wie möglich zu erhalten.


Der deutsche Ingenieur, Chemiker, Naturforscher und Philosoph Karl von Reichenbach (*1788, † 1869) nannte die Lebenskraft Od. Dieser Begriff führt auf die Bibelstelle (Gen 2,7) zurück, dort heißt es: „Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und hauchte ihm Lebens(Odem)Atem in die Nase. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen“. Auch die biblische Aussage „Der Herr hat es gegeben, der hat es genommen“ (Hiob 1,21) kann für eine Interpretation herangezogen werden. Hieraus lässt sich der hypothetische Schluss ableiten, dass Gott mit seinem Odem dem Menschen das Leben einhaucht (Aktivierung der Atmung nach der Geburt) und er zum Ende des Lebens den Odem zurücknimmt (Atemstillstand mit dem Tod).


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