Kryptische Weltkarten

Es war schon immer das Bestreben des Menschen, die Welt, in der er lebte, zu erforschen, zu ergründen, Gebiete kartografisch zu erfassen und zu dokumentieren, (beispielsweise durch Schaffung einer Landkarte), aber auch aus kartografischen Quellen vergangene Weltbilder zu erschließen.  Der griechische Mathematiker, Geograf, Astronom und  Astrologe Claudius Ptolemäus (* um 100; † nach 160) z. B. schuf einen Atlas, der die ganze zu seinen Lebzeiten bekannte Welt umfasste.  Er nutzte u. a. die legendäre Bibliothek in Alexandria zu umfassenden Forschungen auf dem Gebiet der Geografie. Seine Erkenntnisse fasste er in einem zu seiner Zeit einmaligen Werk zusammen, das eine topografische Darstellung nebst einer Liste der geografischen Breite und Länge von mehr als 8.000 Orten in Europa, Asien und Afrika enthielt. Des Weiteren eine Erläuterung des Nutzens der Astronomie für die Geografie und eine detaillierte mathematische Anleitung zur Anfertigung von Karten der Erde. Über die geografischen Kenntnisse der alten Kulturvölker Mesopotamiens und Ägyptens, ist wenig bekannt.  Doch wer sich mit dem antiken geografischen Stoff beschäftigt, stößt  immer auch auf griechische Namen. Während der griechische Universalgelehrte Anaxagoras (geb. 499 v. Chr.) noch glaubte, die Erde sei eine Fläche und auch der griechische Geschichtsschreiber, Geograf und Völkerkundler Herodot dieselbe sich scheibenförmig vorstellte, waren die Pythagoreer die ersten, welche die Kugelgestalt der Erde annahmen.  Das 17-bändige Lexikon der Geografie des griechischen Geografen und Historikers  Strabon  (*64/63 v. Chr.; †  23 n. Chr.) bildete lange Zeit die Grundlage für die Kenntnis der antiken Welt. Mit Beginn des Mittelalters schöpften die Geografen  ihr Wissen nicht mehr aus griechischen Quellen, sondern hielten sich im günstigsten Fall an Plinius den Älteren (* 23 / 24 ; † 79) und seine 37 Bände umfassende Enzyklopädie Naturalis historia, während Strabon, Herodot und Ptolemäos vergessen waren. Mönche waren die ersten Verfertiger von Weltkarten. Gestützt auf die Bibel, welche den Ausdruck „Erdkreis“ gebraucht, entstanden die Radkarten des Mittelalters. Alle diese Karten zerlegten den runden Erdkreis in eine östliche Hälfte, welche Asien einnahm, und in eine westliche, die zwischen Europa und Afrika geteilt wurde. Erst  im späten Mittelalter entstanden die mappae mundi (= mittelalterliche Universalkartografie) mit ihren bekanntesten Vertretern, der Ebstorfer Weltkarte (ca. 1235) und der Hereforder Weltkarte (ca. 1270). Diese mittelalterlichen Weltkarten bildeten den Ausgangspunkt der gesamten europäischen  Kartografie der damaligen Zeit. Sie stellen gleichsam eine Art Geschichtsgemälde dar, welches die Orte und Geschehnisse von der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht umfasst. Sie erläutern das Heilsgeschehen, geben aber nur wenige geografische Informationen. Der zeitliche Schlusspunkt dieser Kartenart liegt im 15. Jahrhundert, als die Seefahrt, Entdeckungen und die Kartografie Fortschritte machten.


Die ältesten bekannten Weltkarten stammen aus der Antike und gehen noch von einer flachen Erde aus. Weltkarten, die von einer kugelförmigen Erde ausgehen, erscheinen erstmals im Hellenismus, also  in der historischen Epoche, die 334 v. Chr. mit den Eroberungszügen Alexanders des Großen beginnt. Die griechische Geografie, insbesondere die von Eratosthenes, erreichte ihren Höhepunkt in der römischen Ära mit der Weltkarte des Ptolemäus im 2. Jahrhundert n. Chr. Eratosthenes war der erste Geograf, der Parallelen und Meridiane in seine kartografischen Darstellungen einbezog, was sein bereits vorhandenes Verständnis der kugelförmigen Natur der Erde beweist. Er zeichnete eine verbesserte Weltkarte, in die Informationen aus den Feldzügen Alexanders des Großen und seiner Nachfolger einflossen. Landmassen oder Gebiete, die seinerzeit zwar bekannt, aber weder kartiert noch beschrieben waren, wurden von den Kartografen als terra incognita bezeichnet. Das bedeutendste Gebiet der Terra incognita war die Terra Australis (incognita), eine große Landmasse auf der Südhalbkugel. Selbst zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es trotz moderner Satellitenkartografierung noch unerforschte Gebiete auf der Welt. Dazu zählen die Landstrukturen unter dem Inlandeis der Antarktis und Grönlands, einige Regionen der Sahara, mehrere Berge im ost-tibetischen Himalaja, Teile des Amazonasbeckens, Teile der Anden und Gebirgsregionen in Papua-Neuguinea. Weitere wenig erschlossene Regionen der Welt sind der Wachankorridor in Afghanistan und die Tepui-Berge Venezuelas. Einige dieser Tafelberge hat noch nie ein Mensch betreten. Der Roraima-Tepui (siehe unten) ist ein 2810 m hoher Tepui im Dreiländereck zwischen Venezuela, Brasilien und Guyana. Er ist der höchste Tafelberg der Welt. Auch heute noch ist der Roraima-Tepui nicht vollständig erschlossen. Die Landschaft auf dem Hochplateau ist ein unzugängliches Felslabyrinth mit vielen Schluchten – teilweise mehrere hundert Meter tief.

Weltkarten mit heilsgeschichtlichem Hintergrund

Die Ebstorfer Weltkarte war eine mittelalterliche Radkarte mit einer Pergamentfläche von 12,75 m² (3,5 x3,5 m), auf 30 zusammengenähten Pergamentblättern aus Ziegenhäuten, mit Jerusalem als Mittelpunkt.  Die Radkarte präsentiert ein Abbild der Welt aus der Zeit um 1300. Die Erdscheibe wird kreisförmig, vom Ozean umflossen, dargestellt. Sie ist so ausgerichtet, dass der Osten oben ist. Dort befindet sich auch eine bildliche Darstellung des Paradieses. Im Zentrum der Karte liegt Jerusalem. Abgebildet sind die Erdteile Asien, Afrika und Europa.  Die Karte verbrannte 1943, erhalten geblieben sind Reproduktionen, die dem Original jedoch nicht vollständig entsprechen. Die Karte enthält  1.500 Texteinträge, 534 Städte, 500 Gebäudedarstellungen, 160 Gewässer, 60 Inseln und Gebirge, 45 Menschen und Fabelwesen sowie ca. 60 Tiere.  Abgebildet sind die Erdteile Asien, Afrika und Europa. Asien nimmt die obere Kreishälfte ein und ist doppelt so Groß wie die beiden anderen Kontinente zusammen. Europa ist in der linken unteren Ecke dargestellt. Dort findet man  einige deutsche Städte wie z. B. Soest,  Meißen, Aachen, Köln, aber z. B. Rom, Kreta und Delos. Die kreisrunde Erdfläche ist vom Weltmeer und den Winden umgeben. Die Karte soll nicht die Welt  geografisch korrekt abbilden, sondern das historische, mythologische und theologische Wissen dieser Zeit widerspiegeln. Ganz oben, außerhalb des Kartenrunds, steht Christus, der beim Jüngsten Gericht die Geretteten (zu seiner Rechten, daher links im Bild) von den Verdammten (rechts) trennt. Die zentrale Lage Jerusalems, die Arche Noah und das im Osten nahe dem Kopf Christi gelegene Paradies und der Turm zu Babel zeigen die heilsgeschichtliche Konzeption. Auf der Mythologie und antiken Sagen beruht etwa die Darstellung der Amazonen. Jüngste Untersuchungen machen es wahrscheinlich, dass die Karte etwa um 1300 im Kloster Ebstorf angefertigt wurde. Der auf der Karte dargestellte bauliche Zustand des Kölner Domes kann recht genau auf die Jahre von 1320 bis um 1325/30 datiert werden. Demzufolge dürfte die Ebstorfer Weltkarte in den 1320er-Jahren gefertigt worden sein.

Eine weitere Weltkarte mit dem Anliegen, in belehrender Weise die Schöpfung und die Heilsgeschichte  darzustellen, ist die Hereford-Karte. Sie ist auf einem einzigen Pergamentblatt gezeichnet, misst 158 ​​x 133 cm, hat einen Durchmesser von 130 cm und ist die größte vollständig erhaltene mappa mundi. Größer war nur die verloren gegangene, aber 1952 wieder rekonstruierte Ebstorfer Weltkarte. Wie schon die Ebstorfer Weltkarte entspricht auch die Hereford-Karte  nicht dem geografischen Wissen ihrer Zeit. Sie  zeigt die Kontinente Asien oben, Europa links unten und Afrika rechts unten, ist daher geostet (das heißt Osten ist oben). Sie enthält jedoch mehr geografische Details als andere Radkarten: so sind z. B. der Indus, Tigris und Euphrat dargestellt, des Weiteren der Persische Golf  und das (in Rot gemalte) Rote Meer, das Tote Meer mit den versunkenen Städten Sodom und Gomorrha, in das aus dem See Genezareth der Jordan fließt – darüber Lots Weib, sich umdrehend. Im Mittelmeer findet man Konstantinopel, links daneben das Donaudelta, und Troja, die Insel Kreta mit Labyrinth, Sizilien und die Balearen. Unter den europäischen Städten sind Rom und Paris besonders hervorgehoben . England, Schottland und Irland  werden stark stilisiert wiedergegeben. Die Säulen des Herkules (die Straße von Gibraltar) liegen, dem Paradies gegenüber, am unteren Blattrand. Eine besondere Stellung in der Karte nimmt die Heilsgeschichte ein. Palästina ist stark überdimensioniert dargestellt. Jerusalem, unter dem Kruzifix, liegt gemäß Ezechiel V:5 im Zentrum des Erdkreises, und ganz oben ist das Paradies mit den vier Paradiesflüssen als von einer Mauer umgebene Insel abgebildet, darin Adam und Eva sowie der Baum der Erkenntnis; außerhalb, rechts darunter, die Vertreibung. Die Arche Noah, der Turmbau zu Babel, die Flucht der Israeliten durch das Rote Meer und die Wanderung durch die Wüste finden ebenso Platz wie das Goldene Vlies. Die Karte befindet sich über dem Altar in der Kathedrale von Hereford, England. Auftraggeber war Richard von Haldingham und Lafford um 1283 Domherr von Lincoln und ab 1305 Domherr der Bischofskirche von Hereford. Die Karte basiert auf traditionellen Berichten und früheren Karten wie der des Beatus von Liébana- Kodex und ist der Ebstorf-Karte (siehe oben) durchaus gleichwertig.

Beschreibung der verzeichneten Punkte:


0 - Jerusalem.

1 - Das Paradies.

2 - Ganges und Gangesdelta.

3 - Die sagenhafte Insel Taphana, manchmal  als Sri Lanka oder Sumatra interpretiert.

4 - Indus und Tigris.

5 - Die Gegend des Kaspischen Meeres.

6 - Babylon und der Euphrat / Der Turmbau zu Babel.

7 - Der Persische Golf.

8 - Die Flucht der Israeliten durch das Rote Meer (in Rot gemalt).

9 - Noahs Arche.

10 - Das Tote Meer mit den versunkenen Städten Sodom und Gomorrha, in das aus dem See Genezareth der Jordan fließt – darüber Lots Weib, sich umdrehend.

11 - Ägypten und der Nil.

12 - Fluss Nil [?], oder möglicherweise eine Anspielung auf den äquatorialen Ozean;

13 - Darüber: Das Goldene Vlies.

14 - Konstantinopel; links daneben das Donaudelta.

15 - Das Ägäisches Meer / Troja.

16 - Übergroßes Nildelta mit dem Leuchtturm von Alexandria.

17 - Ein Skiläufer in Skandinavien.

18 - Griechenland.

19 - Kreta mit Labyrinth.

20 - Das Adriatische Meer; Italien mit Rom.

21 - Sizilien und Karthago.

22 - Schottland.

23 - England.

24 - Irland.

25 - Die Balearen.

26 - Die Säulen des Herkules (die Straße von Gibraltar).


Die Beatus-Karte ist eines der bedeutendsten kartografischen Werke des europäischen Frühmittelalters: Sie wurde ursprünglich vom spanischen Benediktinermönch Beatus von Liébana auf der Grundlage der Berichte von Isidor von Sevilla, Ptolemäus und der Bibel erstellt. Obwohl das Originalmanuskript verloren ist, sind noch mehrere Kopien erhalten, die eine hohe Originaltreue aufweisen. In dieser Mappa Mundi wird die Welt als kreisförmige Scheibe dargestellt, die vom Ozean umgeben ist. Die Erde ist in drei Kontinente unterteilt: Asien (oberer Halbkreis), Afrika (rechter unterer Quadrant) und Europa (linker unterer Quadrant), die jeweils den Nachkommen der drei Söhne Noahs gehörten: Sem , Ham und Japheth. Die Kontinente sind durch Wasserströme und Binnenmeere getrennt, darunter das Mittelmeer (Europa-Afrika), der Nil (Afrika-Asien) der Bosporus und das Ägäische Meer (Europa-Asien). Im Zentrum der Welt liegt Jerusalem. Am östlichen Ende Asiens liegt der Garten Eden , das irdische Paradies. In seiner Mitte steht der Baum des Lebens und daneben eine Quelle, aus der die vier Flüsse des Paradieses fließen : Tigris , Euphrat , Pishon und Gihon .  An der Südküste des asiatischen Kontinents liegt Indien , ein riesiges Gebiet, das von drei Flüssen, dem Indus, dem Ganges und dem Hipane, durchzogen wird. Westlich von Indien liegt Parthien , eine Region, die sich zwischen den Flüssen Indus und Tigris erstreckt. Mesopotamien ist die Region zwischen den Flüssen Tigris und Euphrat . Dort liegen die Regionen Babylon und Chaldäa.

Südlich des Flusses Euphrat und des Sinus Persicum (Persischer Golf) lag die Wüstenregion Arabia. . An der nordöstlichen Grenze Arabiens, bereits auf Gebieten des alten Römischen Reiches, erstreckte sich die Provinz Syrien, deren Grenzen im Norden der Kaukasus und das Taurusgebirge, im Osten der Euphrat, im Westen das Mittelmeer und Ägypten waren. Syrien hatte drei verschiedene Provinzen: Comagena, Phönizien und Palästina. Das Gebiet Phöniziens erstreckte sich vom Mittelmeer bis zum Libanon und dem Tiberiades-Meer. In Phönizien befanden sich die berühmten Städte Sidon und Tyrus. Die Quelle des  Nil ist ein See. Die nordafrikanischen Territorien von Tunesien, Algerien, Marokko und Westsahara (der sogenannte Maghreb) heißt „Libia“ und Afrika ist von einem rot gefärbten Meer umgeben.

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