Kaspar Hauser

Als Kaspar Hauser (* angeblich 30. April 1812; † 17. Dezember 1833 in Ansbach) am 26. Mai 1828 in Nürnberg auftauchte, herrschte zunächst allgemeines Rätselraten, wer er sei und woher er komme. Sein Gang war unsicher, wie der eines Kleinkindes. Seine Kleidung wirkte abgerissen, doch trug er um den Hals ein feines Seidentuch. Sein Wortschatz war begrenzt – er wiederholte nur immer den Satz: „Ein solcher Reiter möchte ich werden, wie mein Vater gewesen ist.“ Bei sich trug er zwei Briefe, die an den Rittmeister Friedrich von Wessenig adressiert waren.


Nachdem trotz wiederholter Fahndungsaufrufe aus Nürnberg sich niemand gemeldet hatte, der ein Kind vermisste oder mitbekommen hatte, dass irgendwo ein Junge verschwunden war, wurde schnell gemutmaßt, dass nur ein Adelshaus in der Lage gewesen wäre, ein Kind unbemerkt verschwinden zu lassen. Der deutsche Rechtsgelehrte Paul Johann Anselm Feuerbach nahm diese Theorie auf und untersuchte, in welchem Adelsgeschlecht 1812, im vermuteten Geburtsjahr von Kaspar Hauser, ein Kind geboren und verschwunden war. Er stieß auf das Haus Baden: Großherzog Karl und seine Frau Stéphanie de Beauharnais bekamen im September 1812 einen Jungen, der kurz nach seiner Geburt starb.  Feuerbach stellte außerdem fest, dass es unter den Erbprinzen im Hause Baden eine ungewöhnliche Häufung von Todesfällen gegeben hatte. Männliche Abkommen starben früh, nur die weiblichen Abkommen überlebten und wurden alt. Feuerbach identifizierte Kaspar Hauser als den 1812 geborenen Erbprinzen und äußerte die Theorie , man habe Hauser gegen einen sterbenden Säugling ausgetauscht und beiseitegeschafft, um einer Nebenlinie des badischen Fürstenhauses die Thronfolge zu ermöglichen. Damit war die Erbprinzentheorie geboren.  Nach dieser Theorie soll für das Drama um Kaspar Hauser die zweite Ehefrau von Großherzog Karl Friedrich von Baden, Luise Geyer von Geyersberg, Freifrau von Hochberg verantwortlich gewesen sein. Sie soll dafür gesorgt haben, dass alle Nachkommen ihres Mannes aus erster Ehe ums Leben kamen, sodass die sogenannte Alte Zähringer-Linie ausstarb. Damit war der Thron frei für ihren eigenen Sohn Leopold und die sogenannte Hochberg-Linie kam an die Macht. Diese Theorie gilt mittlerweile aufgrund später publizierter Dokumente und Augenzeugenberichte über den Tod des Prinzen als widerlegt. Auch eine Genanalyse aus dem Jahr 1996 zeigte, dass eine Hauser zugeschriebene Blutprobe nicht vom badischen Erbprinzen stammen kann.

Die Geschichte des rätselhaften Findlings klingt abenteuerlich.  Kaspar Hauser tauchte am Pfingstmontag des Jahres 1828 plötzlich in Nürnberg auf. Er wirkte geistig zurückgeblieben und sprach wenig. Er beantwortete nur wenige Fragen, und sein Wortschatz schien begrenzt zu sein. Seine Sinnesorgane wurden als überempfindlich, seine Muskeln als unterentwickelt beschrieben.  Der Schuhmachermeister Weickmann dem der Junge auf der Straße aufgefallen war, sprach ihn an. Nach seinem Herkunftsort gefragt, antwortete er Regensburg. Hauser  trug einen an den Rittmeister der 4. Eskadron des 6. Chevauxlegers-Regiments in Nürnberg (zu diesem Zeitpunkt Friedrich von Wessenig) adressierten Brief bei sich.  Weickmann brachte ihn dorthin. Von Wessenig ließ den Jungen nach einem kurzen Aufenthalt in seiner Wohnung zur Polizeiwache führen, wo er angab, Kaspar Hauser zu heißen. Der anonyme Verfasser des an von Wessenig adressierten Briefs gab an, er sei ein armer Tagelöhner und das Kind sei ihm im Oktober 1812 „gelegt“ worden. Er habe es aufgezogen, es lesen, schreiben gelehrt und als Christ erzogen, jedoch seit 1812 keinen Schritt vor die Tür gelassen. Der Junge wolle wie sein Vater ein Reiter  werden. In einem weiteren beiliegenden, angeblich von der Mutter stammenden Brief, dem sogenannten „Mägdleinzettel“, wurde der Vorname Kasper genannt und als Geburtsdatum der „30. Aperil 1812“ angegeben. Der Vater des Jungen, ein Chevauxleger vom 6. Regiment, sei tot. Hauser erzählte später, er sei, solange er denken könne, immer ganz allein in halb liegender Stellung in einem fast lichtlosen Raum gefangen gehalten worden. Während des Schlafes habe man ihm Wasser und Brot gebracht, ihn gereinigt, in frische Wäsche gekleidet und ihm Haare und Nägel geschnitten. Die dazu erforderliche Tiefe des Schlafzustandes wurde durch die Vermutung erklärt, dass man ihm Opium gereicht habe. Seine Notdurft habe er in ein Gefäß verrichtet, das in einer Vertiefung des Bodens stand und ebenfalls nächtens geleert wurde. Erst kurz vor seiner Freilassung sei ein Mann, dessen Gesicht er nie gesehen habe, bei ihm erschienen. Dieser habe ihn durch Führen der Hand im Schreiben unterrichtet und ihn dann bis kurz vor Nürnberg gebracht. Auf diesem Marsch habe er auch das Stehen und Gehen gelernt. Den Satz, er wolle ein Reiter wie sein Vater werden, habe er von dem unbekannten Mann durch wiederholtes Nachsprechen erlernt, ohne den Sinn der Worte zu erfassen. 1828 wurde Hauser zur Pflege und Erziehung bei dem Gymnasialprofessor und späteren Religionsphilosophen Georg Friedrich Daumer untergebracht, der ihn auch in verschiedenen Fächern  unterrichten sollte. Daumer, ein äußerst neugieriger Gelehrter, mit einem selbst für seine Zeit ungewöhnlich starken Hang zum Spekulativen, führte mit Hauser zahlreiche homöopathische und magnetische Experimente durch. Es zeigte sich, dass Hauser besondere Eigenschaften und Sensitivitäten besaß. Z. B. die Fähigkeit, ohne hinzusehen Armbewegungen Daumers aus einer Entfernung von 125 Schritten als ein „Anblasen“ zu fühlen. Im Jahr 1829 wurde Hauser im Keller der Wohnung Daumers mit einer stark blutenden Schnittwunde an der Stirn aufgefunden. Er gab an, von einem maskierten Mann überfallen worden zu sein. Er habe ihn jedoch an der Stimme erkannt. Es sei derjenige gewesen, der ihn nach Nürnberg geführt habe. Aus Sicherheitsgründen wurde Hauser danach bei der Familie des Magistratsrates Biberbach untergebracht, dauernd bewacht von zwei Polizeibeamten. Ein zweiter Vorfall ereignete sich dann  im Jahr 1830. In Hausers Zimmer im Hause Biberbach fiel ein Pistolenschuss. Seine beiden sich im Vorzimmer aufhaltenden Bewacher fanden Hauser bewusstlos und am Kopf blutend auf dem Boden liegen. Hauser gab später an, dass er auf einen Stuhl gestiegen sei, um an ein Buch zu kommen. Als dieser umfiel, habe er sich an einer an der Wand hängenden Pistole festzuhalten versucht und so den Schuss versehentlich ausgelöst. Die Wunde am Kopf war ungefährlich, doch es war zweifelhaft, ob sie durch einen Schuss verursacht worden war. Danach brachte man ihn für eineinhalb Jahre bei seinem Vormund Gottlieb von Tucher unter strenger Überwachung. Am 14. Dezember 1833 kam er mit einer schließlich tödlichen Stichwunde nach Hause. Er behauptete, wie bereits im Jahr 1829 Opfer eines Attentäters geworden zu sein.


Eine kriminalwissenschaftliche Untersuchungen ergab jedoch, dass er sich mit hoher Wahrscheinlichkeit die Verletzung selber beigebracht hatte, wahrscheinlich  aus Enttäuschung über das nachlassende öffentliche Interesse an seiner Person.  Selbst nach über 200 Jahre, als er erstmals auf der Bildfläche erschien, bleibt das Schicksal des Kaspar Hauser dennoch rätselhaft und voller geheimnisvoller Ungereimtheiten.


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