Medikamente aus Tiergiften

Schlangen, Spinnen, Quallen, Skorpione, Schnecken oder Fische produzieren Gift, um Beutetiere zu erlegen oder sich zu verteidigen. Anders als bei pflanzlichen Giften bestehen tierische Gifte aus  Eiweißverbindungen, den sogenannten Peptiden.  Aufgrund eines besonders hohen und komplexen Peptidgehalts kommen sie zunehmend für therapeutische Anwendungen infrage.


Die Forschung kennt etwa 200.000 giftige Tierarten. Kaum ein Gift im Tierreich gleicht dabei dem anderen.  Unbehandelte akute Vergiftungen durch Tiergifte können bleibende Schäden hinterlassen und sogar den Tod des Opfers Opfers beispielsweise durch Atemlähmung oder Herzstillstand bewirken.  So verschieden wie die Gifttiere selbst sind auch die Wirkstoffe, die sie zur Verteidigung oder zur Jagd einsetzen. Welche Substanz letztlich für die Giftwirkung verantwortlich ist, und wie es zu dem Effekt kommt, ist bei vielen Giften auch heute noch unklar.  Doch so rätselhaft und tödlich diese chemischen Waffen auch sein mögen, für den Menschen bieten sie eine große  Chance. Denn eines haben die verschiedenen Tiergifte  stets gemeinsam: Sie bestehen nie aus einem einzigen Stoff. Es handelt sich immer um einen Cocktail aus zum Teil hunderten von Substanzen, die zusammen für die Giftwirkung im Organismus verantwortlich sind. Von diesen wurden bisher nur circa 16.000 untersucht. Bisher konnten daraus etwa 16 Medikamente entwickelt werden.  Aber die sind von außerordentlicher Qualität.  


Tierische Toxine sind mittlerweile begehrt, um Schmerzen zu bekämpfen, Krankheiten wie Epilepsie oder  Neurodermitis zu lindern oder Herzrhythmus-Störungen zu beseitigen. Um den Geheimnissen der verschiedenen Gifte auf die Spur zu kommen, müssen die Wissenschaftler zunächst die Toxin-Cocktails von giftigen Schlangen, Spinnen  oder Fischen analysieren und auf potenziell medizinische Wirkstoffe untersuchen. Professor Bruce Livett von der Universität in Melbourne ist einer dieser Wissenschaftler. Seit Jahren untersucht er das  Gift der Kegelschnecken, die in vielen tropischen Meeren zu finden sind.  2002 extrahierte er aus dem Gift (Conotoxin)  eine Substanz, die möglicherweise die chronischen Schmerzen von Krebs- oder Aidspatienten lindern kann. ACV1 – so der Name des Wirkstoffes – unterbricht die Schmerzweiterleitung im peripheren Nervensystem und verhindert so, dass die Schmerzsignale im Gehirn ankommen. Die Substanz wirkt länger und stärker als beispielsweise Morphium, und macht nicht süchtig. Livett  ist davon überzeugt, dass Kegelschnecken ein bisher noch weitgehend unangezapftes Reservoir an Substanzen besitzen, aus denen Medikamente für die verschiedensten menschlichen Krankheiten entwickelt werden können. Das reicht von Schmerzen bis hin zur Epilepsie… Aus dem Speichel der Gila-Krustenechse konnte z. B. ein Peptin gewonnen werden, das Diabetikern hilft, ihren Blutzuckerspiegel zu senken. Im Blut der asiatischen Marienkäfer, wurde eine sehr wirksame Substanz gefunden – das Harmonin. Diese Substanz ist gegen viele Erreger wirksam: beispielsweise gegen Bilharziose, Malaria und Leishmaniose.


Die EU investierte im Rahmen des  Forschungsprojekts Venomics sechs Millionen Euro  in die Tiergift-Forschung.  Untersucht wurden rund 25.000 Giftstoffe aus allen Tierklassen, um sie in einer Datenbank für pharmazeutische Entwicklungen zugänglich zu machen. Alle Gifte wurden charakterisiert,  insbesondere  wurde die Reifung der Peptide im Toxin selbst untersucht. Daraus gingen insgesamt 25.000 Toxinsequenzen hervor, von denen nun mehr als 3.600 potenzielle therapeutische Substanzen über chemische Synthese oder rekombinante Methoden hergestellt werden sollen.  Aus den Toxinen können aktive Wirkstoffkandidaten zur Behandlung von Allergien und Diabetes sowie Autoimmun- und Entzündungskrankheiten ermittelt werden.


Insgesamt gesehen, ist bei der Entwicklung von Medikamenten auf der Basis von tierischen Wirkstoffen noch viel Luft nach oben.




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