Leben im Dunkeln

Rund 65 Prozent der Erde sind von Wasser bedeckt. Rund 88 % davon sind Tiefsee. Damit sind die weitgehend bis völlig lichtlosen Bereiche des Meeres gemeint, die unterhalb einer Tiefe von mindestens 200 m liegen. Obwohl die Tiefsee damit den größten Teil unseres Planeten einnimmt, ist über sie weniger bekannt als über die Oberfläche des Mondes. Forscher des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen schätzen, dass der Mensch in Bezug auf das gesamte Volumen nur ca. fünf Prozent kennt. Die Temperatur der Tiefsee ist gleichbleibend niedrig (−1 °C bis 4 °C). In 10.000 m Tiefe herrscht ein Druck von etwa 1.000 bar. Trotz dieser scheinbar sehr lebensfeindlichen Bedingungen existiert in der Tiefsee dennoch eine vielfältige, aber weitestgehend noch unbekannte geheimnisvolle Tierwelt. Dort leben seltsame Geschöpfe wie die Vampirtintenfische, Jeti-Krebse, leuchtende Atolla-Quallen, Drachenfische und riesige Seespinnen. Die Tiefsee beherbergt auch Organismen mit schier unfassbaren Eigenschaften, darunter Quallen, die nahezu ewig leben, und Oktopusse, die ihre eigene DNA verändern können. Pottwale z. B. können mehr als zwei Stunden unter Wasser bleiben.

Dabei tauchen sie mehr als 2.000 Meter in die Tiefe. Auch in den Sedimentschichten zwischen 860 und 1626 Meter unter dem Meeresgrund gibt es Lebewesen. Dort fanden Forscher intakte Prokarya, also Mikroorganismen ohne Zellkerne. Laut einer Studie brauchen solche Zellen etwa 1.000 bis 3.000 Jahre, um sich zu erneuern - normalerweise eine Sache von wenigen Stunden. Immer wieder werden auch seltsame Kreaturen an den Stränden der Weltmeere angespült. An verschiedenen Stellen des Meeres wurden von Strandspaziergängern große, knochenlose und gummiartige Kadaver gefunden, bei denen bis heute nicht immer geklärt werden konnte, worum es sich handelte. Die Wissenschaft nennt diese mysteriösen Kreaturen Globster, eine nicht identifizierte organische Masse, die an der Küste von einem Meer oder anderen Gewässern anspült wurden. Der Begriff stammt von Ivan T. Sanderson der ihn im Jahr 1962 benutzte, um einen Meereskadaver auf einem tasmanischen Strand im Jahr 1960 zu beschreiben. Der Kadaver hatte laut Sanderson “keine sichtbaren Augen, keinen definierten Kopf, und keine offensichtliche Knochenstruktur". 1924 wurde an dem Strand von Margate in Südafrika eine seltsame Kreatur angeschwemmt. Zeugen beschrieben sie als große undefinierte weiße Masse, die aussah wie ein riesiger weißer Eisbär in Fischgestalt. Die Kreatur sei nach einem mehrstündigen Kampf mit zwei Orcas leblos am Strand aufgetaucht. Sie wurde von den Schaulustigen Trunco getauft. Eine nähere Untersuchung durch die Behörden erfolgte leider nicht, sodass der Körper in den folgenden Tagen verweste und später von der Flut weggespült wurde. Um was für eine Kreatur es sich bei der weißen Masse gehandelt hatte, ist bis heute unbekannt. Eine andere unheimliche Kreatur, das sogenannte Canvey Island Monster wurde im November 1953 an einem Strand von Canvey Island gefunden. Das Geschöpf war 76 Zentimeter lang, mit dicker, rötlich brauner Haut, großen wulstige, weit hervorstehende Augen und Kiemen. Es wurde von Augenzeugen als mit Hinterbeinen und mit fünfzehigen, hufeisenförmigen Füßen mit konkaven Bögen beschrieben – aber ohne vordere Gliedmaße, was darauf hindeutet, dass es auf zwei Beinen lief. Die sterblichen Überreste wurden nach einer oberflächlichen Prüfung von einem Zoologen bedauerlicherweise eingeäschert. Ein zweiter, besser erhaltener Kadaver wurde im August 1954 entdeckt. Dieses Exemplar war mit 120 Zentimetern fast doppelt so groß wie der Kadaver von 1953 und wog über elf Kilogramm. Der Fäulnisprozess war noch nicht weit fortgeschritten, sodass eine Gewebeprobe seiner Augen, Nase und Zähne genommen werden konnte. Die forensischen Untersuchungen waren jedoch ergebnislos. Es konnte nicht festgestellt werden, um was für ein Lebewesen es sich gehandelt hatte oder wie es gestorben war. Bis heute gibt es keine offizielle Erklärung, was für eine Kreatur da am Strand lag. Das im Jahr 1997 an einem Strand in Tasmanien angeschwemmte Seeungeheuer ist noch um einiges skurriler. Die Kreatur war 4,6 Meter lang und wog um die vier Tonnen. Sie hatte paddelförmige Flossen, Stränge aus langem weißem Haar sowie sechs fleischige Lappen auf jeder Flanke. Die Kreatur wurde Four Mile Globster genannt. Sie konnte nie identifiziert werden.


Im Juli 2015 wurde an die Küste der russischen Insel Sakhalin der Kadaver einer weiteren mysteriösen Kreatur angespült. Sie war mit Fell bedeckt, hatte eine riesige Höcker Nase, einen Vogelschnabel und einen schlanken, langen Körper von enormer Größe, fast doppelt so lang wie ein Mensch. Vielleicht ein Seemonster aus der Tiefsee, Wissenschaftler standen jedenfalls vor einem Rätsel. Der stellvertretende Leiter des Fischerei- und Ozeonografie-Instituts in Sachalin vermutet, dass es sich bei dem seltsamen Wesen um eine seltene Spezies eines Delfins handelt, der durch warme Meeresströmungen in die Gegend um die Insel geführt wurde und durch Auskühlung dann verstarb. Der Kadaver soll Ähnlichkeiten mit einer Delfinart haben, die im indischen Strom des Ganges lebt. Doch diese Art ist max. 2,40 m lang. Auch die seltene Beschaffenheit der Haut gibt Rätsel auf. Delfine haben normalerweise eine glatte und elastische Haut ohne Fell. Behaarung bremst beim Schwimmen und daher für ein Leben im Wasser ungeeignet.  Der englische Professor für Meeresbiologie an der Essex University, David Smith vermutet, das Tier könne ein urgeschichtliches Exemplar sein, das im ewigen Eis eingefroren war. Ähnlich denkt Alex Rogers, Professor an der britischen Oxford University. Er meint, das Tier könnte ein verfaultes Mammut sein, das sich aus dem Eis gelöst hat und dann ins Meer gespült wurde. Bis heute konnte nicht genau festgestellt werden, um was für ein Tier es sich handelt.


Die beschriebenen Fälle wurden nie vollends geklärt und man weiß bis heute nicht, ob es sich um Tiere mit Missbildungen oder starken Verwesungen, oder wohl möglich sogar ganz neue bisher in der Tiefsee verborgene Spezies gehandelt hat.


Auch in der Todeszone 900 Meter unter dem antarktischen Schelfeis gibt es unbekanntes Leben, kleine Organismen, die hier überdauern. Nur wenige Zentimeter groß sitzen sie auf Felsen unter Wasser. Bei zwei Bohrungen zwischen 2015 und 2017, um Sedimentproben vom Meeresboden zu entnehmen, machten die Forscher eine verblüffende Entdeckung. Anstatt weichen Meeresboden zu erreichen, stießen sie auf Fels. Die Forscher ließen eine Kamera mit einem Scheinwerfer herab, um den Boden zu erkunden. Im Licht des Scheinwerfers konnten zwei verschiedene Organismen beobachtet werden: beulige, etwa münzgroße Gebilde, vermutlich Schwämme. Wie sie leben und wovon sie sich ernähren, ist unbekannt. Des Weiteren sahen die Forscher Organismen mit stielförmigen Körpern, die in einer Kugel endeten. Sie waren fünf bis zehn Zentimeter lang und saßen mit abgeflachten Füßen teilweise in Gruppen auf den Steinen. Welcher Organismengruppe sie zuzuordnen sind, ist unklar – ebenso, um wie viele Arten es sich handelt. Diese praktisch unbekannten Ökosysteme genauer zu erforschen, bleibt eine Aufgabe der Wissenschaft.

Wissenschaftler*innen des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums in Frankfurt haben mithilfe von Umwelt-DNA (eDNA)  aus Sedimenten der Clarion-Clipperton-Zone – einem potenziellen Abbaugebiet für mineralische Rohstoffe – sowie anderen Tiefseeregionen weltweit die bodenlebende Tiefsee-Fauna untersucht. Die  eDNA wird dazu nicht direkt aus Organismen extrahiert, sondern aus Umweltproben, wie Wasser oder Sedimenten, gewonnen. Damit kann die Dynamik von Ökosystemen und Populationen einzelner Arten untersucht werden. Die Ergebnisse der Untersuchung belegen, dass die Vielfalt in den potenziellen Seebergbaugebieten im Vergleich zu anderen Tiefseegebieten besonders hoch ist und dass die Biodiversität der Tiefsee noch nahezu unbekannt ist.  Über 60 Prozent der benthischen Foraminiferen (= einzellige, zumeist gehäusetragende  Organismen (Protozoa)) und fast ein Drittel der eukaryotischen Lebewesen kann keiner bislang erfassten Art zugeordnet werden. Foraminiferen gehören zum Zooplankton, in der Wassersäule schwebend, oder zum Zoobenthos, auf dem Meeresboden lebend. Benthische, auf dem Boden lebende Foraminiferen haben Pseudopodien, mit denen sie sich auf dem Untergrund ~ 1 cm/h fortbewegen können.  Eukaryoten sind einzellige oder mehrzellige Lebewesen mit Zellkern, der die DNA enthält. · Zu den Eukaryoten gehören Einzeller, Algen, Pflanzen, Pilze, Tiere und Mensch. 

In der Tiefsee gibt es große Vorkommen von Mangan und anderen Rohstoffen. Noch ist der Abbau verboten, doch das könnte sich bald ändern - mit nicht absehbaren Folgen für die Meere und ihre Bewohner. Am Boden der  Tiefsee und insbesondere auf den Manganknollen leben unzählige Arten. Die ökologischen Folgen eines möglichen Abbaus der Manganknollen wären für das fragile Ökosystem Tiefsee fatal. Durch den Abbau werden nicht nur die Knollen und die darauf lebende Fauna, sondern die gesamte belebte Zone des Meeresbodens komplett entfernt. Die Auswirkungen in den Abbau-Arealen sind langfristig – es dauert Jahrhunderte oder Jahrtausende , bis die Ökosysteme in diesen Gebieten sich wieder erholen. Gegen den Tiefseebergbau  spricht auch, dass die landseitigen Vorräte noch sehr lange reichen werden, weil sich z. B. auch die Abbautechniken fortentwickeln werden. Außerdem könnte eine intensivierte Wiederverwendung jedenfalls zum Teil die Entnahme weiterer Mineralien ersetzen. Der Bergbau an Land wird jedenfalls, die Rentabilität vorausgesetzt, in jedem Fall fortgeführt werden. Kommerzielle Abbauvorhaben bedürfen auch oft enormer Flächen. Ferner haben die Verträge in der Regel eine Laufzeit von 30 Jahren. Mit dem Tiefseebergbau würde erstmalig großflächig in Ökosysteme eingegriffen, die bislang weitgehend unberührt sind. Kommerzieller Tiefseebergbau wird mit großer Wahrscheinlichkeit zum Artensterben führen. Tiefseebergbau sollte daher nicht erlaubt werden, bevor man belegen kann, dass er absolut nötig ist und dass er betrieben werden kann, ohne marine Ökosysteme zu schädigen.  In der Clarion-Clipperton Zone liegen die größten bisher bekannten Manganknollenvorkommen. Bis heute wurden 13 Forschungslizenzen zur Erkundung von Manganknollenfeldern im Pazifik vergeben, darunter auch an Deutschland und andere europäische Länder. Es gibt zwar noch keine Abbaulizenzen, doch das ist nur noch eine Frage der Zeit.

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